Du betrachtest gerade Den Atem kommen lassen

Den Atem kommen lassen

  • Beitrags-Kategorie:Atem / Gesundheit

Wegbegleiterin – Atemtherapeutin Brigitte Ruff

In meinem Leben sind mir viele einzigartige Wegbegleiter*innen begegnet. Meine Kindheit war, wenn ich darüber nachdenke, vor allem durch männliche Vorbilder geprägt. Später jedoch waren es vorrangig starke Frauen, die meine persönliche Entwicklung möglich machten. Ich möchte euch heute eine ganz besondere Frau vorstellen. Brigitte Ruff lebt in der Nähe von Zürich, arbeitet bereits seit mehreren Jahrzehnten als Atemtherapeutin und war meine Ausbilderin in der Buteyko Atem-Methode.

Viel Spaß beim Eintauchen in das Gespräch zwischen mir und dieser wunderbaren Frau.

Berufung und dann Beruf

Judith: Du hast mir mal erzählt, dass du in Deutschland aufgewachsen bist. Aber eigentlich bist du Schweizerin oder?

Brigitte: Ja, ich bin am 14. Oktober 1957 in Winterthur geboren. Zunächst wuchs ich in Deutschland auf – bis 1976 – und war dann auf der Suche nach meiner „Berufung“. Ich begann eine Ausbildung im Kunsthandwerk in Dänemark, beendete eine Ausbildung zur Sekretärin bzw. kaufmännischen Angestellten in Neuseeland, arbeitete auf Farmen und zog durch Australien. Danach ließ ich in die Schweiz nieder und absolvierte die Ausbildung zur Krankenschwester (heute heißt das Pflegefachfrau). Doch auch dies war noch nicht das Ende meines Weges. Ich reiste nach Afrika, konnte teilweise dort sogar arbeiten. Mit einer Freundin wollte ich dann ein Pastageschäft in Berlin öffnen. In Berlin angelangt besuchte ich im schönen Middendorf Zentrum einen Atemkurs bei Ilse Middendorf. Und da wusste ich sofort, dass ich die Ausbildung zur Atemtherapeutin machen will. Ich hätte nicht sagen können, wieso, es fühlte sich einfach richtig an, wie eine Berufung, ohne jede rationale Erklärung. Von der äußerlichen Wanderschaft zur Wanderung nach innen …

Judith: … und dann hast du die Ausbildung begonnen?

Brigitte: Ja, die Ausbildung machte ich aber in der Schweiz. Das war sehr intensiv. Zweieinhalb Jahre drei bis vier Tage pro Woche. Ilse war immer wieder wochenweise an unserer Atemschule und nahm auch die Prüfungen ab. 

Judith: Du hast sie also noch persönlich kennengelernt.

Brigitte: Ja, und bis zu ihrem Tod 2009 hatte ich das Privileg, bei ihr lernen zu dürfen. Ich konnte mein Atemwissen unter ihrer Anleitung vertiefen und mit ihrer Unterstützung in das Geheimnis des Atems eintauchen. Ich war mindestens zwei bis drei Wochen pro Jahr bei ihr in Berlin und Niendorf. Ilse Middendorf war allerdings eine strenge Lehrerin. Ihr war es sehr wichtig, dass der Atem und seine Kraft „erfahren“ wird.

Judith: Es heißt ja auch der Erfahrbare Atem. Was ist das Besondere daran?

Brigitte: Es gibt viele Möglichkeiten und Methoden, mit dem Atem umzugehen. Im Erfahrbaren Atem geht es darum, sich dem Atem hinzugeben, ihn zu erleben, wie er ist, reagiert, bewirkt. Keine Vorstellungen, sondern reine Erfahrung. Wir lernen zu erkennen, wenn das Ego, der Verstand eingreifen, steuern, kontrollieren wollen und lernen, dem Zustand des Seins und Lassens immer näher zu kommen. Gleichzeitig erleben wir dabei, dass der Atem auch ganz klar körperlich ist. Eine Bewegung. Spürbar, sichtbar, in seinen Auswirkungen greifbar. Und wir lernen auch, dass der Atem einerseits über Körper- und Sammlungsübungen, andererseits über Behandlungen erfahren werden kann. Die Berührung ist ein ganz wichtiges Element in der Middendorf Atemtherapie. Ilse sagte oft: „Der unbewusste Atem ist wie ein roher Diamant, welcher über meine Bewusstheit und Anwesenheit verfeinert und geschliffen wird. Er wird bedeutend und bewirkend, somit werde ich verändert und geformt. Ich werde zum Wesentlichen geführt, bin mit meinem Wesen verbunden und so entsteht ein Entwicklungsweg über das Geschenk des Atems. Die Qualität dieser Atemarbeit eröffnet sich in der Hingabe, dem Lauschen.“

 

Hier ein kleines Video von Ilse Middendorf. „Atem – Stimme der Seele“.

Das „Zuviel-Atmen“

Judith: Und wie ging’s dann weiter?

Brigitte: Ich hatte nach der Ausbildung das Glück, an der Atemschule U. Schwendimann in Männedorf, Schweiz, als Lehrerin arbeiten zu können und sammelte so über 10 Jahre lang Erfahrung im Erfahrbaren Atem und im Unterrichten. Später unterrichtete ich auch am Ateminstitut Yvonne Zehnder. Jahrelang war ich Prüfungsexpertin unseres Verbandes – und immer lernte ich dazu. 

Judith: Wann kam Buteyko hinzu?

Brigitte: 2003 las ich etwas übers „Zuviel-Atmen“, das chronische Hyperventilieren im Internet. Das hat mich sofort fasziniert, da ich doch mit Klienten auch an Grenzen gestoßen war, allein mit Ilses Methode. Nicht alle Menschen können und wollen sich die Zeit nehmen, auf einen langen Entwicklungsweg zu gehen. Und die Methode nach Dr. Konstantin Buteyko schien mir eine weitere Möglichkeit zu sein, Menschen in ihren Nöten, auf ihrem Weg unterstützen zu können. Meine Schwester hatte schweres Asthma, und ich nahm sie mit zu einigen Atemstunden nach Buteyko. Sie übte fleißig, denn sie wollte von den vielen Medikamenten wegkommen. Tatsächlich konnte sie diese nach einigen Wochen absetzen! Das überzeugte mich und ich absolvierte die Ausbildung zur Buteykolehrerin in England. Die Methode war ja damals erst seit kurzem in der westlichen Welt bekannt und kam langsam über die englischsprachigen Länder auch in die deutschsprachigen. Bald darauf, das war ab 2009, bot ich zusammen mit meiner Atemkollegin Ursina Friedli dann die Buteyko-Ausbildung in der Schweiz an. Auch meine Schwester Sabine absolvierte damals die Ausbildung und bietet heute diese Methode in Süddeutschland an. Aus ihrer Not wurde also bei ihr eine Berufung. 

Judith: Jetzt liegen 34 Jahre an Atemarbeit hinter dir. Atemarbeit, ist ja eigentlich ein seltsamer Begriff… Wenn du jetzt zurück blickst, was berührt dich an deiner Arbeit? 

Brigitte: Die diversen Begrifflichkeiten haben immer wieder Fragen aufgeworfen unter uns Atemtherapeuten. Atemarbeit genauso wie der Begriff Therapeut*innen. Wir sehen uns auch als Lehrer*innen, Begleiter*innen. Ich versuche dir eine kurze Antwort zu geben. Egal, wie wir uns nun nennen: Therapeut,*in Lehrer*in, Trainer*in, Begleiter*in, wir wissen nie, was ein Mensch mitbringt und wie sich die Stunde gestalten wird. Der Atem des Menschen sagt es mir. Die absolute Offenheit ist wesentlich. Zu erleben, wie oft nach nur einer Stunde Atmen ein Mensch verändert nach Hause geht, berührt mich ungemein. Das Atmen macht neugierig auf uns selbst. Das ist wunderbar. Wie atmet ein Mensch, was sagt das aus über sein Leben, seine Erfahrungen. Wie hat das Leben den eigenen Atem geformt und wie formt der Atem das Leben? So interessante und wichtige Fragen. Und das so Wunderbare am Atem ist, dass diese unbewusste Funktion unseres Körpers, welche uns am Leben hält, uns gegeben ist, damit wir Einfluss nehmen können. So vieles liegt auch in unserer Hand und mit dem Erkennen und Wissen um Atemgesetzmässigkeiten können wir mitgestalten und Veränderung ermöglichen. Veränderung, Entwicklung, welche nicht kopfgemacht ist, sondern aus dem Wesentlichen unseres Selbst kommt.

Sich im Atem selbst begegnen

Für mich selbst war die Begegnung mit meinem Atem eine Schicksalsbegegnung. Der Atem hat mir geholfen, zu mir zu kommen, mich differenziert wahrzunehmen, mich kennenzulernen, mich in meinem Körper zu spüren, in meiner Heimat anzukommen. Aus dem vielen Denken ins Jetzt zu kommen. Den Atem empfinden heißt, das Jetzt zu erleben und mehr haben wir nicht. Alles andere sind Vorstellungen, Erinnerungen, Zukunftsgeschichten. Die Realität ist das, was sich jetzt gerade zeigt und spürbar ist und das zu erfahren, geschieht durch die Anwesenheit im Atem.

Judith: Was war an deinem Weg unerwartet?

Brigitte: Unerwartet war für mich, dass ich „einfach so“ zum Atem kam und er mich nicht mehr losgelassen hat. Mein Wunsch, zu wissen, was ich auf der Welt soll, wurde mir einfach so erfüllt. Es war ein langer und fordernder Weg, und doch hatte ich keine Wahl. Ich brauche nichts weiter dazu als mich zu meinem Atem zu sammeln. Dann spüre ich, wie der nächste Schritt sich gestalten will, was das Leben mit und durch mich will.

Judith: Wenn du die Möglichkeit bekämst ein Unterrichtsfach einzuführen für den deutschsprachigen Raum, welches Fach wäre das?

Brigitte: Ganz klar! Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben zu erfahren, wie er/sie zu sich kommen kann, sein Wesen berühren kann, im Jetzt sein kann und so nicht leistungs- und fremdgesteuert durchs Leben geht. Das heißt für mich, ein Erfahren und Wissen um den Atem gehört in die Schule, schon in die Grundschule. Atempflege!!! Das ist das Fach! Auf sich hören zu lernen, unterscheiden können, welches ich das Wesentliche ist. Sich um sich selbst kümmern zu lernen, Selbstverantwortung dadurch zu fördern. In diesen Worten steckt es drin – Selbst-Bewusstsein und Selbst-Ver-Antworten. Das lässt starke Menschen wachsen, voller Selbst-Vertrauen, sich trauen, seinen Platz einzunehmen, wo auch immer dieser ist.

Judith: Vielen Dank, liebe Brigitte, dass du dir Zeit genommen hast für dieses Gespräch.

Mehr zu Brigitte Ruff findest du unter: https://www.atem-praxis.ch/

Und hier noch ein ausführliches Interview mit Brigitte zum Thema „Richtiges Atmen“.